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Horizont

Malen mit der Kamera

Fotografische Abstraktion im Werk von Sophia Dalaman

 

“I paint what cannot be photographed, and I photograph what I do not wish to paint.” (Man Ray)

Ihre fotografischen Stilmittel findet Sophia Dalaman im Farbrauschen, in der Bewegungsunschärfe, in der Variation von Ausschnitt und Blickrichtung. Ebenso gehört die Verwendung spezieller digitaler Filter, auf deren algorithmische Steuerung sie keinen Einfluss nimmt, zu ihrer Palette. Je stärker die fotografische Akkuratesse durch diese Stilmittel gekontert wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie uns etwas Neues vor Augen führt.

Einerseits ist die Kamera für die Künstlerin ein vielseitiges und leicht transportables Malwerkzeug, anderseits eine präzise Abstraktionsmaschine. In ihren Bildern geht es ihr weniger um das fotografische Abbilden im klassischen Sinne. Vielmehr lotet sie feinsinnig die Grenze zwischen fotografischer Abstraktion und gegenständlicher Darstellung aus. Sie lauert nicht auf den moment décisif, und sie will die Welt auch nicht dokumentarisch erfassen. Gleichwohl sind ihre Bilder äußerst detailversessen.

Je unschärfer der fotografische Referent erscheint, desto tiefer gelangen wir in eine Wahrnehmungszone hinter der gegenständlichen Ebene, desto weiter öffnet sich unser Blick auf einen Horizont, der jenseits des Sichtbaren und allzu Bekannten liegt. Die fotografische Abstraktion erweist sich dabei als überraschender und formgebender Verstärker von motivischen Grundideen. Die Titel der Werkreihen geben dem Betrachter einen thematisch aufgeladenen Fluchtpunkt an die Hand, auf den hin sich die Rezeption zubewegen kann.

Für sich allein würde die fotografisch Abstraktion nur einem spielerisch-ästhetischen Selbstzweck dienen. Durch die Titel aber wird die Wahrnehmung diskursiv: Was sehen wir? Und wie sehen wir es in Bezug auf unsere Erfahrung?

Ys. Dark Matter. Magic Brush. Horizont. Grüne Stunde. 

Sei es, dass fließendes Wasser und starres Felsgestein in einen überraschenden Bezug gesetzt werden wie in Ys. Oder dass ein visueller Diskurs über die Form und Existenz von Dunkler Materie geführt wird. In jeder Werkgruppe befasst sich die Künstlerin mit einem anderen Ausschnitt der Wirklichkeit und hinterfragt ihn auf sein verborgenes Inneres und Äußeres. Mit den Bildern der Werkgruppe Magic Brush etwa dekonstruiert die Künstlerin gar ihr eigenes Werk, wenn sie zuvor abfotografierte Ausschnitte von gemalten Bildern mit dem magischen Pinsel der Handykamera traktiert. Dieser transformiert das Ausgangsmaterial derart umfangreich, dass es sich selbst nicht mehr wiedererkennt.

Das Fotografische jedoch bringt den besonderen Kitzel der abstrakten Bilder erst hervor. Denn gerade weil die Fotografie in einem fort behauptet: Das, was wir sehen, ist echt, es ist wahr, es hat eine konkrete Entsprechung in der Welt, sind wir zugleich irritiert, wenn wir den fotografischen Referenten im Bild nicht mehr eindeutig bestimmen können. Diese Irritation bewirkt einen Reflexionsprozess, der uns hinter die dargestellte Wirklichkeit blicken lässt.

So springt in der Serie Horizont die Bildfläche - wie bei einem Kippbild - zwischen fotografischer Realität und abstrakt autonomer Farbfläche heftig hin und her. Die Wahrnehmung öffnet sich auf einen virtuellen Horizont, der erst durch die ausbleibende Tiefe des Bildraumes evoziert wird. Gleichzeitig werden wir regelrecht durch die Gegend geschleudert ob der dynamischen Strukturen im Bild, während unsere Assoziationen in den Sog einer Denk-Bewegung geraten. Ebenso verheißen die Bilder der Werkgruppe Grüne Stunde einen rauschhaften Zustand, der nicht allein durch den assoziierten Absinth und eine grünlich schimmernde Abendstunde beschwört wird, sondern wesentlich durch die farblichen Verzerrungen und ausbleibende oder überhöhten Kontraste ausgelöst wird.

Einerseits begegnen wir in den fotografischen Abstraktionen von Sophia Dalaman somit einer technisch erzeugten Abbildung von etwas Gegenständlichem, andererseits betrachten wir dabei immer eine Darstellung von etwas in der Welt Verborgenem, das erst über die Abstraktion zur Reflexion und somit zur Anschauung gelangt.

 

Stephan Reisner